Die Tolino-Allianz - Eine Kritik

Die Tolino-Allianz - Eine Kritik

Vorgeschichte

Ich bin, glaube ich, 2011 in die Welt der digitalen Bücher eingestiegen. Auslöser war, dass ich damals vom Auto auf die Bahn umgestiegen bin. Und DIE ZEIT als Printausgabe im engen Zugabteil zu lesen … naja.

Jedenfalls machte ich von Anfang an einen Bogen um Amazon und begann daher, auf dem Sony PRS-T1 zu lesen. Nachdem sich Sony aus dem E-Reader-Markt zurückzog, musste ich mich nach Alternativen umsehen. Da mich die eInk-Technik richtig begeistert hat, hatte ich dann meist zwei E-Reader unterschiedlicher Hersteller in Gebrauch. Zunächst Kobo und Tolino, dann PocketBook und Tolino.

So konnte ich auch immer gut vergleichen, wer wo seine Stärken und Schwächen hat. Und jeder Hersteller hat beides, Stärken und Schwächen.

Die Tolino Allianz …

Tolino (die Entwicklung hatte zunächst die Telekom unter sich, später dann Kobo [sic!]) machte zunächst viel richtig. Es wurden Lesegeräte entwickelt, die einfach und übersichtlich zu bedienen sind und ganz ohne Spielzeug, das vom Lesen ablenkt, auskommen. Es kristallisierten sich seitdem aber doch einige Probleme heraus, die meiner Meinung nach mit dem derzeit neuesten Tolino, dem Vision 6, ihren vorläufigen Höhepunkt erreichten (siehe Kurztest Vision 6, Meinung zu FW 15.2.6 und Meinung zu FW 15.3.0).

Kurz zusammengefasst: Die Akkulaufzeit des Vision 6 ist absurd kurz und das Gerät friert beim Umblättern regelmäßig ein.

Der Buchhandel als Schnittstelle

Von Beginn an sah ich es als problematisch an, dass kein Kommunikationskanal zum Hersteller vorgesehen war. Bei Supportfragen, aber auch bei Verbesserungsvorschlägen muss man stets den Weg über den Buchhändler machen. Diese Indirektion über den Buchhändler, dessen eigentliche Kompetenz weniger in der Technik sondern vorrangig in Fragen der Literatur liegt, ist ein kapitaler Fehler der Tolino Allianz. Sicher, man mag nun einwerfen, dass Amazon auch nicht gerade offene Ohren für die Anliegen der Kunden hat, aber andere Hersteller zeigen durchaus, dass es ein Stück weit besser geht.

Ich habe zig Mails archiviert, die die Kommunikation mit einem Buchhändler über verschiedene Softwareprobleme eindrücklich dokumentieren. Da werden Tickets bei den Entwicklern erstellt, wo man nur hoffen kann, dass die Thematik adäquat wiedergegeben wurde. Meist hört man dann wochenlang nichts mehr. In einem Fall, der ein Problem mit dem Webreader betrifft, ist nach 3 Jahren noch keine Lösung in Sicht.

Da hilft auch kein Tolino Twitter-Account, wo kritische Fragen nicht beantwortet und auch sonst keinerlei Informationen zu Releaseterminen oder anstehenden Features usw. preisgegeben werden. Vermutlich ist das alles viel zu geheim. Man hat das Gefühl (ohne dass ich das behaupten will), dass den Twitteraccount nur eine (externe) Person so nebenher in der Freizeit betreut.

Ignoranz und mangelnde Selbstkritik

Trotz ganz offensichtlicher Softwaremängel gab es so gut wie nie ein Wort der Selbstkritik. Ein Beispiel ist das neue tolino Leseerlebnis, das nach vielen Monaten noch immer nicht aus dem Betastadium gekommen ist. Immerhin, in einem wenig beachteten Youtube-Video wurde erwähnt, dass man sich in eine Sackgasse in einem bestimmten Bereich der Entwicklung begeben hat und man die Komponente neu und anders entwickeln muss. Dazu aber kein Wort auf der Tolino-Homepage. Kein Statement in einer FAQ. Der Anwender soll ruhig weiterwurschteln und sich wundern, dass nichts funktioniert und in der Entwicklung nichts vorangeht.

Auch was die Onleihe und deren (nicht mehr ganz so) neues DRM-Verfahren LCP/CARE betrifft, hat sich Tolino nicht mit Ruhm bekleckert. Das funktioniert mehr schlecht als recht, weswegen womöglich das tolino Leseerlebnis mit neuer Readerengine erst notwendig geworden ist. Jedenfalls war die Onleihe über lange Zeit quasi kaum zu benutzen. Die Anwender haben sich nur noch geärgert, doch von der Tolino Allianz kam lange Zeit … gar nichts. Erst spät wurde eine FAQ zu dem Thema erstellt. Dort werden Probleme im Zusammenspiel mit dem Kopierschutz LCP eingeräumt und dass an einer Fehlerbehebung gearbeitet wird. Trotzdem dauert es mal eben Monate, bis eine neue Firmwareversion für die Tolinos erscheint und die dann auch nur wenig Verbesserung bringt. Komisch nur, dass PocketBook mit dem LCP problemlos zurechtzukommen scheint. Jedenfalls funktioniert es da einfach nur.

Die Entwickler im Elfenbeinturm

Wenn es nun mal Softwareprobleme gibt, warum öffnet sich Tolino dann nicht wenigstens ein wenig der Community und geht die Probleme mit Alpha- oder Betatests an? Man kann sich doch eine (oder zwei) Handvoll Poweruser schnappen und geschlossene Betatests durchführen. Hier zum Mithelfen aufzurufen und die Community bei Bugs und womöglich auch bei Entscheidungen zu neuen Funktionen mit einzubeziehen wäre meiner Meinung nach der Königsweg aus dem derzeitigen Softwaredesaster gewesen. Tatsächlich hatte Thalia auch mal zur Mithilfe bzgl. der schwachen Akkulaufzeit eingeladen. Eine lobenswerte Ausnahme, aber eben eine viel zu seltene Aktion.

… und die Anderen

Ein weiterer Punkt abseits der Tolino Allianz ist erwähnenswert. Liest man nämlich Testberichte zu den E-Readern auf den einschlägigen Internetseiten, oder schaut man sich die Testberichte auf YouTube an, könnte man wirklich meinen, dass doch alles gut ist. Nur in Ausnahmefällen wird eine »möglicherweise geringere Akkulaufzeit« erwähnt. Die Onleihe selbst wird meist überhaupt nicht oder jedenfalls nicht eingehend getestet. Hier wird das Augenmerk meiner Meinung nach zu sehr auf Hardwaremerkmale (etwa Display-Auflösung, Kontrast) und zu wenig auf den alltäglichen Gebrauch (wie oft bleibt das Gerät hängen, wie lange kann ich damit lesen, wie ist die Onleihe-Erfahrung) gelegt.

Fazit

Nachdem ich seit dem Shine 1 praktisch kein Tolino-Gerät verpasst habe (bis auf den teuren Epos 2) und immer neugierig auf die neuen Modelle und optimistisch bzgl. der Behebung von Softwaremängeln war, habe ich nun erst einmal resigniert. Übrigens hatte ich nie eine Schublade voll E-Reader; ich habe die älteren Modelle immer gleich auf dem Gebrauchtmarkt verkauft, damit diese auch weitergenutzt werden. Nun aber habe ich – dank des sehr kulanten Händlers – den Vision 6 auch zurückgegeben und bin derzeit ohne Tolino E-Reader unterwegs.

Ich wünsche mir, bald deutlich positiveres über neue Firmwareversionen zu lesen. Dann würde ich mir auch wieder einen Tolino kaufen. Der Knaller wäre, wenn die Tolino Allianz den Android-Unterbau entfernen und auf ein reines Linux-System setzen würde. Sprich, wenn sie einfach auf die Firmware der Kobo-Geräte umschwenken würde.

(Copyright Titelbild: © tolino)