Ersteindruck Tolino Vision 6
Nachdem Tolino 2020 keinen neuen E-Reader herausgebracht hat, gibt es jetzt also den Vision 6. Dieser basiert hardwaretechnisch grob (es gibt einige Abweichungen) auf dem Kobo Libra 2 und sieht diesem zumindest äußerlich zum Verwechseln ähnlich. Das ist auch kein Wunder, zeichnet sich Kobo doch auch als Technikpartner für die Tolinos zuständig. Im Folgenden geht es also um den Vision 6 und um die Unterschiede zum Vorgängermodell, dem Tolino Vision 5.
Die Hardware
Der E-Reader kommt in einem schlichten aber dennoch schicken Karton daher. In der Verpackung findet sich neben dem Tolino noch eine Schnellstartanleitung, eine Garantiekarte sowie ein USB-C Kabel. Ja, richtig. USB-C!
Die inneren Werte sind schnell abgehandelt. Als CPU kommt nun ein 1,8 GHz AllWinner B300 Quad-Core Prozessor zum Einsatz. Diesem sowie dem Arbeitsspeicher von 1 GB sind es vermutlich zu verdanken, dass das Gerät deutlich flotter auf Eingaben reagiert. Das 7 Zoll eInk Carta 1200 Display löst immer noch mit 300 dpi auf, weist aber einen besseren Kontrast auf und reagiert (laut Hersteller) etwas flotter. Nun ist auch wieder ein 1.500 mAh Akku verbaut; beim Vision 5 waren es noch 1.200 mAh.
Beim Gehäuse gibt es behutsame Änderungen. Es ist minimal dicker und weist auf der Seite mit den Tasten eine hochgezogene Kante auf. Diese Biegung schmeichelt dem Daumen und lässt das Gerät noch angenehmer und sicherer halten. Haptisch eine deutliche Verbesserung, wie ich finde.
Die Software
Beim ersten Einschalten wollte der Reader gleich ein Update auf die Firmware-Version 15.1.0 installieren. Diese fußt nun auf Android 8.1. Die für den Anwender sichtbaren Unterschiede bzw. Verbesserungen zur Version 14.2.0 des Vision 5 (Stand: 28.10.2021) sind jedoch ernüchternd: Es gibt praktisch keine.
Für die Onleihe habe ich das tolino Leseerlebnis, das sich noch immer im Beta-Stadium befindet, für Bücher mit LCP-Verschlüsselung aktiviert1. Das Einloggen auf der Onleihe-Seite meiner Bibliothek war etwas hakeliger als ich es vom Vision 5 gewohnt war. Nach einigem Flackern und mehrmaligem Seitenaufbau hat der Login jedoch letztendlich geklappt. Ausleihen und Herunterladen von zwei, drei E-Books konnte ich erfolgreich durchführen. Hier muss ich betonen, dass ich für ausführliche Tests noch keine Zeit hatte. Ein Seitenspringen oder andere Probleme mit dem »Leseerlebnis«, das schon für viel Unmut bei den Lesern gesorgt hat, konnte ich bislang noch nicht feststellen.
Ansonsten hat sich bei dem tolino Leseerlebnis (das eigentlich eine neue Lesen-Engine ist) wirklich nichts getan. Es gibt immer noch keine Silbentrennung, es gibt keine Markierungs- und keine Notizfunktion. Enttäuschend!
Was noch?
E-Books aus dem eigenen Fundus ließen sich gut lesen. Aufgefallen ist mir bei Billy Summers (Stephen King) ein etwas spezielles Problem mit den Schriftarten: In dem Buch sind einige Abschnitte in einer anderen Schriftart gesetzt (was nicht ganz unwichtig für das Verständnis ist). Stellt man jedoch nicht die »Verlagsschrift«, sondern eine andere Schriftart ein, bügelt der Tolino diese Schriftart rigoros über den kompletten Text. Die unterschiedlich gesetzten Abschnitte lassen sich nun nicht mehr als solche erkennen. Für die Software ist das sicherlich keine einfache Aufgabe, jedoch funktioniert es bei den PocketBook-Geräten (z. B. Inkpad 3 Pro) wie gewünscht: Die »normalen« Abschnitte sind in der Wunsch-Schriftart. Die »besonderen« Abschnitte in der vom Verlag festgelegten.
Apropos Schriftarten. Ich habe spaßhalber mal die variable Font-Variante meiner Lieblingsschriftart Literata auf den Tolino kopiert. Erst dachte ich, dass dies unterstützt wird. Doch leider waren als fett ausgezeichnete Wörter nicht fett sondern normal dick gesetzt. Ein Zurück auf die statische Font-Variante hat das dann wieder behoben.
Der Akku lässt mich auch noch etwas ratlos zurück. Dieser ist ja nun mit 1.500 mAh etwas größer dimensionert als beim Vision 5. Allerdings konnte ich quasi dabei zusehen, wie die Akkustandanzeige herunterzählte. Am Tag 1 habe ich gegen 17:00 Uhr den Akku auf 100 % aufgeladen. Gut, ich habe hin und wieder das WLAN eingeschaltet um etwa die Onleihe auszuprobieren. Ansonsten habe ich um die 60-70 Seiten gelesen. Am Tag 2, nach etwas Lesen in der Bahn, war der Akkustand gegen 08:00 Uhr runter auf 75 % (über Nacht war der Reader im Ruhezustand, wobei sich währenddessen der Akku tatsächlich nicht merklich entladen hatte). Aber … 25 % Energieverbrauch in 15 Stunden?! Ich kann nur hoffen, dass sich das mit einem Softwareupdate noch verbessert.
Noch ein Punkt, der mich seit jeher an den Tolino-Geräten gestört hat: Es werden kaum Metadaten ausgewertet und angezeigt. Kein Klappentext. Keine Serieninformation. Kein Genre. Es gibt Leute, die pflegen das alles akribisch von Hand ein. Wenn es schon die Verlage nicht machen, macht man es eben selbst. Mit Calibre ist das ja keine große Sache. Das vernünftig in die Tolino-Bibliothek einzupflegen wäre nicht allzu schwierig (PocketBook kanns doch auch?!). Die Tolino-Allianz scheint hierin jedoch keinerlei Potential zu sehen und ignoriert das Thema Metadaten weitgehend komplett.
Fazit
Der Tolino Vision 6 ist, was die Hardware anbelangt, ein hervorragender E-Reader. Das Display ist knackig scharf und bemerkenswert kontrastreich. Auf Eingaben reagiert der Tolino schnell. Die leidige und scheinbar ewige Baustelle ist die Software. Tolino ignoriert seit Jahren völlig die Bedürfnisse der Anwender. Das »tolino Leseerlebnis« kommt auch nach vielen Monaten nicht voran. Metadaten wie Klappentext oder Seriendaten werden nicht ausgewertet und die Klagen bzgl. der Onleihe bleiben monatelang ungehört. Würde die Tolino-Allianz ihre Kunden ernst nehmen, hätte man die Konkurrenz schon längst in allen Belangen übertrumpfen können. So aber bleibt der (erste) Eindruck zwiegespalten.
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Über Probleme mit der LCP-Ausleihe und wann man das »tolino Leseerlebnis« aus- oder einschalten sollte, ließe sich ein eigener Artikel schreiben. ↩︎